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Die lebensgefährliche Flucht eines zehnjährigen Jungen


Enaiat Akbari floh von seiner Heimat Nawa in Afghanistan wegen Morddrohung und Verfolgung nach Italien und erzählte seine wahre Geschichte mit 21 Jahren dem italienischen Schriftsteller Fabio Geda.



Enaiats Fluchtroute


Enaiat Akbari

Enaiat kam in Italien an und wurde dort glücklich. Er leidet aber bis heute noch unter den damaligen Geschehnissen.

1) Von Nawa nach Kandahar:


und durfte nicht mehr zur Schule gehen. Sein Lehrer war vor aller Augen getötet worden. Denn Enaiat gehörte zur Religion der Hazara, einer muslimischen Minderheit. Ein Taliban (sie terrorisierten damals Afghanistan) platzte in den Unterricht hinein und forderte den Lehrer auf den Unterricht zu beenden und die Schule zu schliessen, da es eine Hazara Schule war, und die Taliban gegen die Hazara waren. Da sich der Lehrer weigerte, wurde er ein paar Tage danach vor allen Schülern erschossen.

So entschied sich Enaiats Mutter dazu mit dem damals zehnjährigen Enaiat zu flüchten. Sie wurden von ein paar Schleppern in einem LKW mitgenommen. Seine Mutter trug eine Burka um ihre Identität als Hazara zu verstecken. Gleichzeitig war es auch ein Versteck für Enaiat. Er war während der ganzen Fahrt nach Kandahar unter der Burka versteckt. Denn dass er ein Hazara ist konnte er nicht verdecken. Die Vorfahren der Hazara sahen ähnlich wie Chinesen aus, und diese Ähnlichkeit findet sich auch bei den heutigen Hazara wieder.

In Kandahar kamen sie in einem schäbigen Hotel unter. Eines Abends musste Enaiat seiner Mutter drei Versprechen geben:

  1. Niemals Drogen nehmen

  2. Niemals Waffen benutzen

  3. Niemals stehlen und betrügen

Am nächsten Morgen war seine Mutter ohne Erklärung weg. Und Enaiat, der zehnjährige, afghanische Junge, war auf sich alleine gestellt.



2) Wanderung in die Türkei:

Mit Hilfe vieler Schlepper kam Enaiat nach Salamas im Iran. Die Schlepper gaben bekannt, dass sie um in die Türkei zu gelangen eine kurze Wanderung durchs Gebirge hinter sich bringen müssten. Als der Aufstieg begann, traf sie schon eine eisige Kälte. Aus kurz wurde lang und aus lang wurde sehr lang.

Sie hörten nicht auf zu laufen. Sie kamen an erfrorenen Leichen vorbei, die noch unversehrte Kleider trugen. Enaiat nahm sich Schuhe oder Kleidungsstücke der Erfrorenen.

Sie verloren immer wieder Leute wegen der eisigen Kälte oder in Felsspalten. Das ewige Wandern zog sich dahin und Enaiat fühlte sich längst nicht mehr als Mensch, sondern als blutender Eisklotz. 26 Tage ging die Wanderung bis sie in der Türkei beim Vansee ankamen.




In solch kaltem Gebirge, wanderte Enaiat seinem neuem Leben entgegen.


3) LKW-Reise nach Istanbul:


Nach der gefühlt endlosen Wanderung durch das Gebirge kam Enaiat mit seiner Reisegruppe endlich in Van an. Nach vier Tagen in einem Stall wurden sie in einen LKW verladen, der sie nach Istanbul bringen sollte. Doch sie durften es sich keineswegs auf der Ladefläche hinten gemütlich machen. Sie wurden alle zusammen in eine nur fünfzig Zentimeter hohe Ladefläche gesteckt. Der Reiseproviant für mehrere Tage war eine Flasche Wasser, und eine leere Flasche um zu pinkeln. Die Fahrt war der reinste Horror für die fünfzig Beteiligten.

Enaiat hatte sowieso nie ans Schlafen gedacht, doch trotzdem konnte er nicht das andauernde herzzerreissende Jammern überhören. Ein Junge klagte die ganze Zeit unaufhörlich nach Wasser. Er war dem Sterben nahe. Enaiat hielt das Gejammer nicht mehr aus und entschied sich, ihm zu helfen. In der Dunkelheit kraxelte er zu einem anderen Jungen, der noch ein wenig Wasser in der Flasche hatte, und nahm ihm dies durch einen Faustschlag weg. Er gab es dem heulenden Jungen. Da hatte er endlich Ruhe.


Doch niemand konnte diesen beissenden Geruch in der Luft ignorieren. Es stank nach Schweiss und Urin. Unzählige Male als der LKW anhielt hatte Enaiat Hoffnungen, dass die schreckliche Fahrt endlich ein Ende nahm. Aber nichts. Entweder nur eine Kreuzung, oder der Fahrer der eine Pause machte. In diesen drei Tagen der Fahrt wurden sie nie herausgelassen. Keine frische Luft, keine Pause, keine Bewegung. Nichts.

Enaiat erzählte, es fühle sich wie eine Vollnarkose an, wenn man endlich wieder Licht hat. Dieses elektrische Licht das plötzlich aufflammt und alle unscharfen Konturen. Endlich war diese Reise zu Ende. Da nach drei Tagen ohne Bewegung niemand mehr selbstständig aus dem Auto hätte gehen können, wurden sie herausgerollt. Alle hatten geschwollene Füsse, verrenkte Hälse und die Durchblutung war unterbrochen. Als Enaiat sich endlich bewegen konnte und aufstand um pinkeln zu gehen, (er hatte es während der ganzen Fahrt verklemmt), konnte er nur Blut pinkeln. Mehrere Wochen lang.


"Dann krochen zwei Türken auf dem Bauch in den Hohlraum und holten auch uns, denn von allein wären wir dort nie mehr hinausgekommen. Jede Bewegung verursachte schreckliche Schmerzen." Das sagte Enaiat nach der grausamen LKW-Fahrt.

4) Mit dem Schlauchboot nach Griechenland:


Von ein paar Schleppern bekamen Enaiat und seine Freunde, die er in Istanbul kennengelernt hatte, ein Schlauchboot, Rettungswesten und Ruder. Als sie jedoch auf der Flucht vor Hunden, auf dem Weg zum Meer, einen steilen Berghang hinunterrollten, bemerkten sie, dass all ihre Westen zerfetzt waren und so die Wahrscheinlichkeit, dass sie ertrinken würden viel grösser war, da keiner der Jungen wirklich schwimmen konnte.

Sie brachen mitten in der Nacht vom Ufer der Türkei nach Griechenland auf und kamen zuerst nicht vom Fleck, weil niemand wusste, wie man rudert. Nach einer Weile hatten sie den Dreh raus und es ging los. Ihre Kleider hatten sie in der Türkei gelassen und so paddelten sie nur in der Unterhose in die Richtung, in der sie Griechenland vermuteten.

Als sie in einen Sturm gerieten, warfen die dreimeterhohen Wellen beinahe das Schlauchboot um und füllten es mit Wasser. Ein Junge rutschte aus dem Boot und verschwand in den hohen Wellen. Er ertrank.

Als sie nach mehreren Stunden eine Landzunge mit einer griechischen Flagge entdeckten, kam Hoffnung auf. In Unterwäsche gingen sie an Land. Die Hoffnung währte nicht lange. Enaiats Freunde wurden von der Polizei verprügelt und abgeführt. Er konnte sich noch rechtzeitig verstecken und nur tatenlos zusehen.

Nach vielen Kilometern, die Enaiat rennend zurücklegte, war er so erschöpft, dass er bei einem Bauernhof auf einen Baum kletterte und einschlief. Er wurde von einer netten alten Dame geweckt, die ihm etwas zu essen, Geld und schöne Kleider schenkte. So konnte er sich am nächsten Tag ein Ticket für die Fähre nach Italien leisten. In Italien wurde er von einer lieben Familie aufgenommen und erhielt später Asyl. Die Flucht hatte endlich ein Ende.


Immer mehr Flüchtlinge fliehen wie Enaiat mit einem Schlauchboot, und nehmen den lebensgefährlichen Weg übers Meer auf sich.

Hoffnung und Angst


In Enaiats Flucht spielt die Hoffnung eine Lebenswichtige Rolle. Dank ihr ist Enaiat überhaupt in Italien angekommen. Sie begleitet ihn auf seiner ganzen Reise, ist manchmal stärker und manchmal schwächer. Durch verschiedene Dinge verliert er sie beinahe, findet sie aber jedes Mal wieder. Sie verleiht ihm immer wieder neue Kraft nicht aufzugeben.


Hoffnung:


Es t rifft gewiss zu, dass die Hoffnung eine Gnade ist.

Aber fraglos ist sie eine schwierige Gnade.

Sie fordert zuweilen unsere Bereitschaft,

auch im Scheitern eine Chance zu sehen,

in der Niederlage eine neue Möglichkeit.Vielleicht ist die Hoffnung die letzte Weisheit der Narren.

-Siegfried Lenz



Die Angst war seine ständige Begleiterin. Sie verfolgte ihn Tag und Nacht. Immer und überall. Wegen den vielen Abschiebungen, schlimmen Erlebnissen und Morddrohungen überkam ihn immer wieder die Angst, es nicht zu schaffen oder zu sterben.



Angst:


Wer nicht täglich seine Furcht überwindet,

hat die Lektion des Lebens nicht gelernt.

-Ralph Waldo Emerson







Die Hoffnung kann die Angst überwinden!

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